Fachlich hervorragend – extrem ehrgeizig – unscheinbar in Meetings

Nicht nur ein Thema für Frauen in Führungsrollen!

Sie betrat den Konferenzraum, in dem wir uns zum Kennenlernen verabredet hatten. Die Tür ging bis zur Hälfte auf und ließ gerade genügend Platz für ihren Eintritt. Die Schritte in den Raum hinein waren zögerlich. Es waren die unsicheren Schritte einer Frau, die nach dem naturwissenschaftlichen Studium bereits 15 Jahre tätig war. Einer Frau, in einer senioren Expertenrolle. Mit internationaler Erfahrung. Hoch geschätzt wegen ihrer brillanten Fachlichkeit! Sie war aktuell in eine Rolle befördert worden, die viel Präsenz und Durchsetzung gegenüber Entscheidern und in einflussreichen Stakeholder-Gremien erfordern würde und sollte an ihrem Auftritt arbeiten. Deshalb war sie hier!

Was fiel mir in den ersten Minuten noch auf? Ein verhaltener Gesichtsausdruck, ein schüchterner Händedruck, gepaart mit unauffälliger, bequemer Kleidung. Das Gespräch begann. Sie schaffte noch mehr Distanz, indem sie zwischen uns einen Laptop platzierte, in dem sie ihre Fragen vorbereitet hatte und sich auch Notizen machen wollte.

So oder so ähnlich habe ich in meiner Coachingpraxis bereits eine Vielzahl von Situationen mit Menschen erlebt, die zu mir kommen, um an ihrem Auftritt und ihrer Präsenz zu arbeiten.

Die erste Hürde: Raum nehmen
Ich werde nie das eindrückliche Gespräch mit einer sehr erfahrenen, erfolgreichen Kollegin vergessen, das ich als junge Managerin vor zig Jahren geführt habe. Sie beschrieb mir damals, wie sie Meetingräume betritt und ihren Platz einnimmt. Eine hochintelligente Frau, die sehr auf ihre Wirkung bedacht war, um damit ihre Gelassenheit, ihr Selbstbewusstsein und ihre Kompetenz in einem sehr dominanten und wettbewerbsorientierten Umfeld zu unterstreichen.

Zu ihren Regeln gehörte: Niemals hektisch den Raum betreten, auch wenn vorher noch so viel Unruhe in der Vorbereitung war. Innehalten, in die Runde schauen, Überblick verschaffen, in Ruhe und langsam auf einen geeigneten Platz zusteuern.

Geeignet? Ja, nicht am Rand der U-Form oder in letzter Reihe einer stehenden Gruppe. Aufgrund ihrer senioren Rolle hat sie das eine oder andere Mal mit netten Worten sogar auch Personen aufgefordert, für sie einen Sitzplatz wieder frei zu machen.

Erstes Learning:
Ich bereite mich umfassend auf ein wichtiges Meeting vor. Neben meinem Fachthema bin ich mir dabei insbesondere meiner Wirkung bewusst, die ich erzielen möchte. Ich bin möglichst einige Minuten vorher da. Ich habe mir bereits überlegt, wie ich mich platzieren will, um mich sicher zu fühlen und wahrgenommen zu werden. Und ich weiß, was ich für Kleidung trage und wie diese Kleidung meine Wirkung unterstreicht! Wenn ich den Raum betrete, nehme ich mir bewusst Raum.

Die zweite Hürde: Das Verhalten der anderen
Hat das Meeting begonnen, kommt die zweite Hürde, die die Menschen an einem einprägsamen Auftritt hindert. Wie oft habe ich diese Sätze schon gehört: „Es sitzen so viele ‚Dampfplauderer‘ am Tisch. Sie reden lange, haben aber gar nichts zu sagen und wiederholen mehrmals ihre Aussagen. Ja, und dann greifen sie irgendwann gegen Ende sogar auch noch meine Argumente auf und setzen sich damit in Szene.“ Und dann folgt oft noch die Aussage: „Das bin ich nicht. So will ich nicht sein.“

Das mag sein, und Sie müssen auch nicht als weiterer „Dampfplauderer“ am Tisch sitzen. Aber Sie verlieren Ihren Fokus, sobald Sie sich durch das Verhalten anderer emotionalisieren lassen, sich ärgern oder werten oder sich insgeheim klein fühlen. Sie folgen in diesem Moment einem Impuls und verlieren Ihre Energie für einen überzeugenden Auftritt, für die Platzierung Ihrer Argumente.

Zweites Learning:
Auch das zweite Learning bezieht sich auf Ihre ganzheitliche Vorbereitung! Wieder ist es nicht die Vorbereitung des fachlichen Themas und die Korrektur der fünften Stelle hinter dem Komma.

Verwenden Sie Zeit darauf, Ihre innere Haltung und Positionierung zum Meetingthema und zu Ihrem Ziel zu prüfen und zu klären. Analysieren Sie vorab, wie die Interessen am Tisch verteilt sein könnten, wie der Entscheider „tickt“. Reflektieren Sie vorher, was Sie beim Verhalten der Kollegen aus der Bahn werfen könnte. Dann wird es Ihnen gelingen, den Energie zehrenden Impuls zu beherrschen und sich auf das Eigentliche zu konzentrieren.

Wollen Sie über Ihre bisherige Rolle eines zuverlässigen, allseits geschätzen Experten in der zweiten Reihe hinauswachsen, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als sich neue Rollenvorbilder zu suchen und sich intensiv und vorbehaltlos mit Ihren Urteilen, Ängsten, Ihrem Selbstwertgefühl und den blinden Flecken auseinanderzusetzen. Sie nutzen durch eine ganzheitliche Vorbereitung die Chance, Ihre „Verhaltens-Toolbox“ zu erweitern, an Klarheit zu gewinnen, eigene Grenzen zu überschreiten und so Ihr Potenzial bestmöglich wirksam einzusetzen.