Unconscious Bias – Homogenität im Business

Von Säbelzahntigern und Rollenklischees zur Selbstverpflichtung

An die 50 Frauen sind zum Ladies Lunch gekommen. Aus dem Meetingraum der internationalen Wirtschaftskanzlei Norton Rose Fulbright gleitet der Blick über das unprätentiöse Titel-Chart „Unconscious Bias – Und Geschlechterrollenklischees, David Scholz, MBA“ schnell nach draußen. Eine spektakuläre Sicht über die klassische Frankfurter Businesslandschaft hinweg. Der Titel ist sperrig, aber aussagekräftiger als der deutsche Begriff „Vorannahmen“ – lernen wir. Nicht jede im Raum konnte sofort etwas damit anfangen.
Als Vortragender zu diesem Thema spricht ein Jurist aus einer anderen internationalen Kanzlei. Naja, war mein erster Gedanke: Wieder einmal ein Mann zu Gender-Klischees. Dezenter Bart, stilvoll-modern gekleidet, perfekt sitzender, mittelblauer Anzug mit grauer Weste.

Vom Säbelzahntiger

Er führt flott ins Thema ein. 99,99 % aller Informationen bearbeiten wir unbewusst, denn bereits zu Beginn der Evolution hat unser Gehirn Schutzmechanismen entwickelt, um uns rechtzeitig vor Gefahren zu warnen. Unsere Vorfahren haben nur überlebt, wenn sie den gefürchteten Säbelzahntiger innerhalb von Sekunden als Bedrohung erfassen konnten. Spätestens auf Sicht, frühestens schon durch Geruch.

Diese Urerfahrungen hat das Gehirn immer weiter verfeinert. Sie leiten aus dem Unbewussten heraus unsere Entscheidungen. In den Unternehmen genauso wie im Privaten. Niemand kann sich davon frei machen – weder Frau noch Mann. Unconscious Bias gehören zu unserem Menschsein dazu.

Unconscious Bias beeinflussen Karriere

Schnell kamen aus dem Publikum zahlreiche detaillierte Beispiele, wo Unconscious Bias in Form von Rollenklischees die Karrieren von Frauen behindern.

Schon vor einigen Jahren hörte ich anlässlich einer Konferenz die hochangesehene Psychologin Maureen Gaffney, bekannt durch ihren Bestseller „Flourishing“, zum Thema Unconscious Bias sprechen und war tief betroffen. Der Blick war auf Auswahlprozesse bei Einstellungen von Executives gerichtet.

Welche unbewussten Vorannahmen begleiten Auswahlprozesse? Ein männlicher Aufsichtsrat, um die 65 Jahre alt, hat ein anderes Persönlichkeitsbild vor Augen als sein Kollege, der erst Mitte 40 ist, verheiratet mit einer erfolgreichen, selbstständigen Frau. Auf beiden Seiten greifen unbewusste Rollenklischees, mit denen Argumente und Parameter für die Suche nach der richtigen Person aufgesetzt werden. Auf Fotos und Altersangaben in Lebensläufen zu verzichten, ist nur ein Anfang. Klischees werden aus einer tiefen Quelle an Erfahrungen und Prägungen genährt.

Genauso kritisch können Sie die Themen Führung oder Entwicklung und Beförderung in Unternehmen betrachten. Wer und was entscheidet über den Ein- oder Aufstieg bis zum Executive Level?

Aber zurück zum Ladies Lunch mit David Scholz: It’s a man’s world

Welches Bild ist in Ihrem Kopf bei der Beschreibung von David Scholz im ersten Absatz entstanden? ... Nach etwa 15 Minuten wurden wir mit unseren eigenen Unconscious Bias konfrontiert. Jenseits all der bis dahin geführten Diskussion.

David Scholz ist ein Transmann! Erst seit gut drei Jahren lebt er in seinem wirklichen Geschlecht, als Mann. In seinem Vorleben in der weiblichen Rolle, dem Geschlecht, das ihm bei Geburt zugewiesen wurde, was er aber nie war, wurde er als weiblich gelesen. Er hat somit am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, anhand von falschen Vorannahmen in ein bestimmtes Bild gepresst zu werden oder abwehrende Reaktionen zu erleben! Zum Beispiel, wenn er selbstbewusst als Frau seine Meinung durchsetzen wollte oder wenn er beim Bewerbungsgespräch kein Kostüm, sondern einen Anzug trug!

Eine seiner Aussagen: “Business? – It‘s a man‘s world. IS IT? YES. UNFORTUNATELY. STILL.”

Entdecken Sie Ihren „persönlichen Säbelzahntiger“ und leben Sie Diversity:

  1. Wenn ich Diversity will, um mein berufliches und privates Umfeld wirksamer und kraftvoller zu gestalten, gilt es, konsequent die eigenen Entscheidungen zu hinterfragen, um hinderliche Klischees zu erkennen. Aus dem Antrieb heraus, meine unbewussten Motivatoren zu steuern, anstatt von ihnen gesteuert zu werden.
  2. Als Executive und Leistungsträger nehme ich die Verpflichtung an, meinen Teil zur kulturellen Veränderungen beizutragen. Ich reflektiere und prüfe meine Entscheidungsparameter, nehme auch unter Druck mutig neue Perspektiven ein. Ich schiebe kein wirtschaftliches Argument vor, wenn ich spüre, dass ich aus einem Reflex heraus den Status quo erhalten will.
  3. Ich sensiblisiere meine Direct Reports und Stakeholder für eine wachsame Haltung gegenüber dem eigenen Handeln und lebe dies vor.
  4. Wenn ich den Verdacht habe, dass in meinem Umfeld Vorannahmen getroffen werden, die nichts mit der Sachentscheidung zu tun haben, spreche ich dies aus und bleibe hartnäckig am Thema dran.